Nicht erst mit Beginn der aktuellen Coronavirus-Pandemie mit ihren zahlreichen COVID-19-Erkrankungen gerät die Arbeitswelt in Aufruhr. Remote- und Hybrid-Arbeitsplatz-Modelle gibt es schon viele Jahre. Auch in Deutschland sind diese Konzepte mindestens seit den 1990ern bekannt. Vorreiter waren hierzulande vor allem SUN Microsystems und UUNET bzw. deren Muttergesellschaft MCI Worldcom. In diesem Artikel blicken wir zurück, zeigen Beispiele und geben Tipps.
Kleine Geschichte des mobilen Arbeitens
Wer erinnert sich noch an das Marketingversprechen all der in traumhafter Südseekulisse Cocktail-schlürfenden Manager und Admins, die mit Java-Client oder PDA Firma und Netzwerk verwaltet haben?
Tatsächlich sagt Gartner seit den 1990ern Thin-Clients eine ruhmreiche Zukunft voraus. Das Enterprise Systems Journal prognostizierte 1998 „thin-client Web-to-host technologies will soon replace fat-client PC-to-host software tools“. Thin und später auch Zero Clients sind eine wichtige Technologie für mobiles Arbeiten. Mit ihnen lässt sich die gewohnte Arbeitsumgebung auf nahezu jedes Gerät projizieren. Die eigentliche Anwendung läuft auf einem zentralen Server. Auch die Daten liegen hinter einer Firewall im geschützten Bereich. Übertragen werden lediglich Bildschirmdaten, was die Anforderungen an die Bandbreite klein hält. Jeder Client mit entsprechenden Voraussetzungen (gängig zu der Zeit waren Java und ActiveX) und einem VPN-Zugang konnte so in eine remote Workstation verwandelt werden.
Ganz so schnell, wie alle wollten, ging es freilich nicht. Zwar gab es schon 1999 Tablets wahlweise mit Java- oder Citrix-Clients. Vor allem der Healthcare-Sektor wartete auch mit konkreten Anwendungen auf. Aber weder waren Wireless Netzwerke sonderlich verbreitet, von ausreichend hoher – und vor allem stabiler – Bandbreite der Mobilfunknetze ganz zu schweigen. Und auch die private Internetanbindung war noch teuer, oft instabil oder gar nicht erst möglich. Wer das Glück hatte – wie ich damals – bei einem der Internet-Pioniere zu arbeiten, konnte allerdings auch ein Hotelzimmer problemlos in ein remote office verwandeln, ohne den Firmenkredit zu sprengen. Das war aber wirklich nur wenigen vorbehalten. Mobile Arbeitsplätze existierten also eher innerhalb der Intranets diverser Standorte eines Unternehmens.
SUN Microsystems war ein weiteres Unternehmen, was schon früh auf flexible Arbeitsplätze setzte. 1997 begann das Unternehmen mit der Entwicklung eines NetWork Terminals. Dem Markt vorgestellt wurde das marktreife Produkt 1999 als Sun Ray. Anders als Citrix und später auch Microsoft setzte Sun von Anfang an auf die Trennung von Anwendung und Session-Status. Auf diese Weise war es möglich, eine Session in München zu beginnen und in Berlin fortzusetzen.
Mit fortschreitender Verbreitung des Internets, neuen Mobilfunkstandards, dem flächendeckenden Ausbau der Netzinfrastruktur, der Weiterentwicklung diverser Protokolle und Laufzeitumgebungen inkl. RDP (Microsoft), SPICE (Red Hat) und Ajax sowie natürlich auch zunehmender Verfügbarkeit von Cloud-Anwendungen wurde verteiltes oder mobiles Arbeiten mit der Zeit immer einfacher.
Die breite Masse konnte sich dennoch nicht so schnell für die Flexibilität und Möglichkeiten all dieser Technologie begeistern. Und selbst wenn der Mitarbeiter es wollte, bestand in dem meisten Fällen der Arbeitgeber auf Anwesenheit in seinen teuer gemieteten Büros. Einen großen Beitrag zur mobile und remote Kultur leistete und leistet die Open-Source-Bewegung. Globale Teams kennen oft nichts anderes als shared und Cloud-based Apps. Wahrscheinlich waren einige von ihnen noch nie zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
Live local, work global
Seit einigen Jahren verfolgen immer mehr Organisationen einen remote first-Ansatz. Unternehmen wie GitLab, Buffer, Zapier, Coinbase, Coursera, Runecast, SentinelOne, Stack Overflow oder Stripe sind die bekanntesten Vertreter mit remote first-Kultur. Mittlerweile ist es sogar eine remote only-Kultur geworden. Mehr und mehr Unternehmen, darunter auch Marktführer wie Doist, Atlassian, GoDaddy, Shopify und Spotify oder Twitch erwarten von ihren Angestellten, ausschließlich im Home Office, Coffeeshop oder Co-working Space zu arbeiten. Zu den Firmen, die vor der Pandemie schon remote-first propagiert haben, gehört auch Hazelcast, wie uns CEO Kelly Herrell versicherte. Wir trafen in im März in einem Hotel in Palo Alto im Rahmen der IT Press Tour.
Remote hat viele Vorteile. Nicht nur kann jeder in einer gewohnten und auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen Umgebung arbeiten. Der kurze Weg zum Schreibtisch kostet weniger Streß und Zeit als teils stundenlange Arbeitswege auf überfüllten Autobahnen oder in stickigen Zügen. Weniger Stress und mehr Zeit mit der Familie (oder der Katze) machen Menschen glücklicher. Mit zunehmender Zufriedenheit steigt die Produktivität. ApolloTechnical hat die Ergebnisse mehrerer Studien zusammengetragen. Zufriedene Menschen sind auch weniger krank. Das hat ein Experiment der Stanford Universität bestätigt, wie in einem Artikel des Springer Verlags nachzulesen ist. Die Gründe liegen auf der Hand: Mitarbeiter können remote eher ihrer inneren Uhr folgen, länger schlafen, in den Pausen schnell mal ein paar Yoga-Übungen machen und sich ohne Bürokratie und Rechtfertigung einen für sie ergonomischen Arbeitsplatz schaffen. Und selbstverständlich vergessen wir auch die beruhigende Wirkung einer Bürokatze nicht.
Bei unserem letzten Besuch in San Francisco haben wir uns ein wenig in den Büros von BMC, Alation, SambaNova, Observe und SingleStore umgeschaut. Mit wenigen Ausnahmen waren bei allen Firmen die Arbeitsplätze mit stufenlos elektrisch verstellbaren Schreibtischen ausgerüstet. Alle hatten große, offene Kaffeeküchen und viel Raum für Kollaboration und Begegnungen. Für konzentriertes Arbeiten gab es überall schallisolierte Plätze. Allerdings fiel uns auch auf, dass – wenn überhaupt – nur ganz wenige Plätze besetzt waren.
Stell Dir vor, Du hast ein Büro, und keiner geht hin.
Es ist eine Herausforderung für kleine wie große Unternehmen. Zwei Jahre social distancing, lockdown, Home-Schooling und Home-Office-Pflicht sowie die ein oder andere Quarantäne haben vieles verändert. Vor allem in Regionen wie San Francisco haben Mitarbeiter schnell begriffen, dass es sich anderswo günstiger leben und genauso gut arbeiten läßt – selbst mit den weniger fürstlichen Gehältern im Landesinneren. In der Tat war selbst mit Silicon-Valley-Zuschlag das Leben in San Francisco kaum mehr finanzierbar. Einer Analyse der Adressänderungen beim United States Postal Service durch CBRE Research&Insights zufolge haben im ersten Jahr der Pandemie mehr als 170.000 Angestellte das Valley verlassen. Nur wenige wollen wieder in die Bay-Area zurückkehren – sehr zum Leidwesen vieler Tech-Konzerne.
Einige, wie Twitter, reagierten auf die neue Situation und passten ihre Policies an. Andere, darunter Oracle und HPE verlegten ihre Headquarter ebenfalls ins Landesinnere, die meisten nach Austin in Texas – dorthin, wo auch viele Valley-Flüchtlinge ihre neue Heimat fanden. Gerade im Fall Oracle sicher keine einfache Entscheidung. Andere kämpfen weiter für eine Rückkehr in die verwaisten Großraumbüros. Doch selbst harte Verfechter der Anwesenheitspflicht wie Apple lenken mittlerweile ein und wollen zumindest hybride Modelle anbieten.
Die Anwesenheit im Büro ist schwer zu verteidigen, wenn auch das Management schon ins Hinterland geflüchtet ist. Selbst Steve Wozniak, Co-Founder von Apple, erwägt einen Teil seiner Zeit künftig in einer Vorstadt von Denver zu verbringen. Gegenüber The New Your Times gab er zu „Ich glaube nicht, dass die Leute wieder Vollzeit arbeiten wollen, wenn sie einen Job haben, bei dem sie gut von zu Hause aus arbeiten können. Wir haben etwas gelernt, das man wirklich nicht zurücknehmen kann.“
Dennoch wird remote work für viele große Konzerne wie Google, Apple oder Twitter immer ein Privileg bleiben, auf das kein Anrecht besteht.
Und dann gibt es aber noch die Unternehmen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen bereits zu Beginn Pandemie gezwungen sahen, ihre Büros aufzugeben. Nach jahrelanger Überzeugung, remote würde niemals funktionieren, waren sie überrascht, wie einfach der Übergang war. Gridgain ist eines dieser Unternehmen. Wir trafen Gründer und CTO Nikita Ivanov und CEO Abe Kleinfeld im Rahmen der 42. IT Press Tour in einem Hotel in Palo Alto.
„Ich war skeptisch, ob das funktioniert. Bei der Größe unserer Aufträge verhandeln wir persönlich mit den Geschäftspartnern. Ich habe nicht geglaubt, dass das funktioniert. Und dann war ich so überrascht, wie unkompliziert das war. Das war überhaupt kein Problem für uns und unsere Kunden“, berichtet Abe Kleinfeld mit leuchtenden Augen. Für GridGain war schnell klar, dass sie eine remote-only-company bleiben.
Selbstverständlich weiß auch GridGain, dass es ganz ohne Büro nicht geht. Schon aus rechtlichen Gründen braucht ein Unternehmen eine ladungsfähige Adresse – wie es im schönsten Beamtendeutsch heißt. Allerdings gibt es auch in remote only Kulturen immer mal wieder Situationen, in denen es Sinn macht, zusammen in einem Raum oder an einem Tisch zu sitzen. Entwicklerteams großer Spielehersteller zum Beispiel fanden sich schwer mit der neuen Situation ab und hatten Probleme, im Homeoffice ähnlich produktiv zu arbeiten oder ähnlich hohe Qualität sicherzustellen.
Natürlich steht und fällt auch (oder vor allem) remote alles mit den Menschen: Schlechte Leader sorgen auch remote für Unzufriedenheit und schlechte Ergebnisse. Und sicher ist auch nicht jeder für selbstbestimmtes Arbeiten allein daheim geboren. Und längst nicht jeder findet daheim die nötige Ruhe oder ausreichend Platz für konzentriertes Arbeiten. In den meisten Fällen wird die Zukunft daher hybrid sein.
Das birgt wiederum Vorteile bei der Personalsuche, auch wenn Haptik und Vorgehensweise des Recruitings etwas anders sind als beim Assessment im real life. Wenn der Arbeitsplatz egal ist, dann können Bewerber auf der ganzen Welt berücksichtigt werden. Menschen mit einer Behinderung oder eingeschränkter Mobilität können in ihrem gewohnten Umfeld arbeiten. Auch introvertierte Menschen profitieren von der Remote-Bewegung, was ein Artikel der BBC eindrucksvoll zusammenfasst. In einer remote Kultur finden auch Freelancer leicht einen Platz. Unternehmen, die all das Potential erkennen und ausschöpfen, können nur gewinnen!
Das richtige Werkzeug
Um es gleich vorweg zu nehmen: das eine, das richtige Werkzeug gibt es nicht. Was für die einen Slack ist, ist für den anderen Email und für einen Dritten das Telefon. Sicher sind manche Werkzeuge besser geeignet als andere. Ich habe noch niemanden getroffen, der wirklich mit Teams warm geworden ist. Und wenn ich zwischen Webex und Zoom wählen müßte, wäre auch eindeutig Zoom mein – und sicher auch der vieler anderer – Favorit. Es kommt immer auf die Aufgabe, das Team und die Umstände an. In einem Team aus Bayern und Kaliforniern werden sich allein aus Gründen der Zeitverschiebung eher asynchrone Kommunikationsplattformen durchsetzen. Auch dürften Konzentrationsarbeiter wie Entwickler und Copywriter eher allergisch auf Telefonanrufe reagieren. Ob eine Kollaborationsplattform von Microsoft oder Google kommt, ist sicherlich nicht kriegsentscheidend. Andere Entscheidungen bergen da wesentlich mehr Zündstoff. Für Europa dürften Datenschutz und -verarbeitung eine wichtige Rolle spielen. Das schränkt die Auswahl merklich ein. Dennoch gibt es auch in der alten Welt absolut konkurrenzfähige Lösungen. Eine dieser Lösungen ist NextCloud. Auch NextCloud setzte von Anfang an auf verteilte Teams. Gründer und CEO Frank Karlitschek erlaubte uns einen Blick hinter die Kulissen im Zuge unseres Summit 2020.