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Die Zukunft der Cloud ist aus Glas

Die Menschheit neigt zur Produktion immer größerer Datenmengen, vorzugsweise versenkt in diversen Cloudspeichern. Inwieweit all diese Daten für das langfristige Überleben unserer Spezies entscheidend sind, können wir nicht mit Bestimmtheit bejahen oder verneinen. Aktuell sorgen sie eher für unseren Untergang: die Daten verbrauchen zu viele und immer mehr Ressourcen – ganz abgesehen von den mit Herstellung, Betrieb und Vernichtung von Speicher- und Compute-Technologie verbundenen Emissionen. Anbieter neuer Technologie wie DNA-Speicher oder Medien aus Glas wollen das ändern. Bereits 2017 initiierte Microsoft das Projekt Silica. Ein Startup aus München macht jetzt ernst.

Cerabyte ist ein Team erfahrener und innovativer Entwickler und Ingenieure. Noch dieses Jahr soll ein funktionierender Prototype (Demo-System, Rack) mit 1 PB Kapazität verfügbar sein; bis 2028 will das Team um die Gründer Christian und Alexander Pflaum die Hyperscaler erobert haben. Ab 2025 soll die neue Technologie bereits on-prem Rechenzentren zur Verfügung stehen mit einer Kapazität von 5 PB per Rack. In ca. 20 Jahren könnten es mit neuen Produktionsmethoden bis zu 100.000 PB pro Rack werden.

Von der bedruckten Fliese zum QR-Code auf Glas

Quelle: MOM-Shop

Die initiale Idee lieferte das Archiv der Menschheit, für das ein Keramiker wissenschaftliche Arbeiten, persönliche Geschichten aber auch Informationen über die Lage atomarer Endlager auf Tonkacheln gedruckt in einem ehemaligen Salzbergwerk in Österreich sammelt.

Herausforderungen der bedruckten Fliesen sind Informationsdichte, Wiederauffindbarkeit sowie automatisierte Verarbeitung der Information. Selbst beste Text- und Bilderkennungsprogramme dürften hier an Grenzen stoßen. Vor allem aber die Informationsdichte ist ein großes Manko. Cerabyte löst diese Probleme mit beschichtetem Gorillaglas und indem die Daten in QR-Codes verpackt werden.

Die fragilen Platten sollen Temperaturen vom absoluten Nullpunkt (-273 °C) bis zu 300 °C aushalten und resistent gegen die Folgen von Wasser, Korrosion, Säure, magnetischer und anderer Strahlung oder Licht sein. Um dennoch Bitrot vorzubeugen (in dem Fall eher pot. Schreibfehler) werden Informationen mehrfach redundant nach dem Erasure-Coding-Verfahren verteilt. Immer bessere Schreib- und Lesemöglichkeiten versprechen eine zunehmend höhere Datendichte. Aktuell sind 2.000.000 Bits mit einem einzelnen Laserimpuls möglich. Beschreibbar sind die Scheiben beidseitig. Aktuell kann Cerabyte 1 GB pro Seite speichern.

Fertigungstiefe heute und in 20 Jahren (Quelle: Cerabyte)

Das einzig wirklich gefährliche für das Glas sind physische Angriffe. Dagegen helfen weder Saphirglas noch Beschichtung. Aber auch das ließe sich mit Verbundmaterialien künftig wahrscheinlich in den Griff bekommen.

Der Hersteller verspricht bis zu 75% geringere TCO (Total Cost of Ownership) gegenüber Tape oder Festplatten. Energiekosten und CO2-Fußabdruck sollen sogar um bis zu 99% sinken. Auf Grund der Recyclingfähigkeit des Materials wird die Müllproduktion mit 0% angegeben. Was die Energiekosten angeht, so geben wir zu bedenken, dass die Glasplatten auch erst einmal hergestellt werden müssen. Da dürfte zudem einiges an chemischen Substanzen für die Oberflächenbehandlung eingesetzt werden. Und der Laser zum Schreiben bzw. der Glasplattenroboter und Lesegeräte sind sicher auch keine Perpetuum Mobile.

Insgesamt sollen Cerabyte-Speicher schneller, günstiger und größer als DNA, Tape und sogar Silica sein. Wir glauben das mit den Kosten und Aufwand im Falle Tape. Ob Glas die Kapazität von DNA tatsächlich schlägt, können wir im derzeitigen Stadium, in dem sich alle Verfahren noch befinden, nicht beurteilen. Und was Silica betrifft: Das hat derzeit noch den Status eines Research-Papers und sämtliche Prognosen sind eher Glaskugel denn fundierter Benchmark.

Nichtsdestotrotz ist es eine interessante Technologie und wert, weiter beobachtet zu werden. Vor allem, wenn es irgendwann die die ersten Bänder aus Glas geben wird und das lästige Umkopieren entfallen könnte.


Wir trafen einen der Cerabyte-Gründer im Januar 2024 im Rahmen der IT Press Tour in Santa Clara. Und ja: vorn am Tischchen sitzt Chris Mellor von Blocks And Files.

v. l. n. r.: Christian Pflaum (Cerabyte), Philippe Nicolas (ITPT), Steffen Hellmold (Cerabyte)
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