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Noch mehr Clouds über Europa

Unabhängige, europäische Originaltechnologiehersteller gründen EUCLIDIA (European Cloud Industrial Alliance), um die digitale Unabhängigkeit und strategische Eigenständigkeit zu fördern. Die Allianz will für europäische Werte stehen und einen fairen Wettbewerb fördern. Gleichzeitig setzt man sich für die öffentliche Finanzierung europäischer Technologien ein, um mit den USA und China auf Augenhöhe konkurrieren zu können. Als Beispiel werden Projekte wie JEDI in den USA oder CSTCloud in China genannt. Ausgerechnet mit JEDI führt die Initiative eine beispiellose Verschwendung öffentlicher Gelder an: Der 2019 an Microsoft vergebene Auftrag für das umgerechnet 8,4 Milliarden Euro teuren JEDI-Projekt wurde im Sommer 2021 aufgrund einer Klage des Wettbewerbers Amazon wieder zurückgezogen. Der Vorfall initiierte zudem eine generelle Diskussion um öffentliche Ausschreibungen. Kritiker führen an, dass öffentlich beschaffte Technologie bereits überholt ist, bevor sie das erste Mal eingesetzt wird.

Zu den 23 Gründungsmitgliedern der EUCLIDIA gehören u. a. Nextcloud, Linbit oder Submer. Der Rest des Konglomerats aus Hardware-Anbietern, Software-Entwicklern und Security-Dienstleistern ist hierzulande eher unbekannt. Was mich persönlich zu dem Schluß kommen lässt, dass hier mal wieder mit öffentlichen Geldern und einer Mitglieder-kaufen-von-Mitgliedern-Attidüde im freien Wettbewerb zum Scheitern verurteilte Unternehmen gerettet werden wollen. Da schwimmt man gern im Fahrwasser so großer Nahmen wie NextCloud mit.

Der Ansatz ist nicht neu. Vor Jahren schon verfolgten Vereine wie die Open Source Business Alliance dieses Ziel. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass mit der Deutschen Wolke bereits vor zehn Jahren einen auf offenen Standards und Open Source basierenden Cloud-Referenz-Stack gab. Für den Springer-Verlag haben Initiator Thomas Uhl und ich selbst (damals Sprecher der Working Group) bereits 2014 auf die Notwendigkeit einer regionalen, offenen Cloud-Infrastruktur hingewiesen. Heute will die OSB Alliance einen Sovereign Cloud Stack (SCS) für das GAIA-X Projekt entwickeln. Natürlich mit öffentlichen Geldern: Das Projekt erhält Fördermittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi).

Das gleiche BMWi hat am 5. Juli 2021 einen Aufruf zur Beteiligung am IPCEI-CIS (Important Project of Common European Interest zum Aufbau der nächsten Generation von Cloud-Infrastrukturen und -Services in Europa) gestartet und 750 Mio. € aus den Mitteln des Europäischen Wiederaufbaufonds zur Finanzierung des Vorhabens beantragt. IPCEI-CIS soll „völlig neue Maßstäbe setzen hinsichtlich Skalierbarkeit, Interoperabilität und Vertrauenswürdigkeit“, sagt das BMWi.

Noch’n Gedicht. Pardon! Wolke.

Die Frage nach dem Sinn all dieser Vereine, Initiativen und Projekte ist mehr als berechtigt. Mit einem nicht gerade geringen Anteil amerikanischer und chinesischer Mitglieder hat GAIA-X sich selbst diskreditiert. Ich schrieb bereits darüber. EUCLIDIA rammt nun freudestrahlend das erste Messer in den Rücken des unglaubwürdigen Gegners.

Dabei braucht es weder eine GAIA-X noch sonst ein wichtiges Projekt. Seit mindestens 2009 gibt es die Open Cloud Principles. An die kann sich jeder halten:

  1. Cloud-Anbieter sollen durch Zusammenarbeit und die angemessene Verwendung von offenen Standards den Herausforderungen bei der Cloud-Einführung (Sicherheit, Integration, Portabilität, Interoperabilität, Governance/Management, Messung/Überwachung) begegnen.
  2. Cloud-Anbieter dürfen ihre Marktposition nicht dazu nutzen, Kunden an ihre speziellen Plattformen zu binden und ihre Auswahl an Anbietern einzuschränken. (Vendor- bzw. Data-Lockin)
  3. Cloud-Anbieter müssen bestehende Standards nutzen und übernehmen, wo immer dies sinnvoll ist. Die IT-Branche hat viel in bestehende Standards und Standardisierungsorganisationen investiert; es besteht keine Notwendigkeit, diese zu duplizieren oder neu zu erfinden.
  4. Wenn neue Standards (oder Anpassungen bestehender Standards) erforderlich sind, muss umsichtig und pragmatisch vorgegangen werden, um die Schaffung zu vieler Standards zu vermeiden. Wir müssen sicherstellen, dass Standards Innovationen fördern und nicht hemmen.
  5. Jede Gemeinschaftsanstrengung rund um die offene Cloud sollte von Kundenbedürfnissen angetrieben werden, nicht nur von den technischen Bedürfnissen der Cloud-Anbieter, und sollte anhand echter Kundenanforderungen getestet oder überprüft werden.
  6. Organisationen für Cloud-Computing-Standards, Interessengruppen und Communities sollten zusammenarbeiten und koordiniert bleiben, um sicherzustellen, dass die Bemühungen nicht in Konflikt geraten oder sich überschneiden.

Die Cloud Native Computing Foundation (CNCF) als Teil der Linux Foundation fördert und unterstützt ein Ökosystem aus quelloffenen und herstellerneutralen Projekten, um diese Innovationen für jedermann zugänglich zu machen. Weitere Referenzarchitekturen mit Buildingblocks finden sich auch auf Linux.com oder bei OpenStack. Auch ich habe eine Referenzarchitektur in einem meiner ersten Artikel für data://disrupted® beschrieben.

Referenzarchitektur einer Open Cloud

Aber das ist ja alles not invented here. Und vor allem noch nicht von jedem. Dabei gibt es in Deutschland bereits jede Menge großer und kleiner Cloud Service Provider. Die kennt nur keiner, weil sie im Fahrwasser der großen Public Cloudanbbieter und den von Steuergeldern finanzierten Marketingmaschinen der EU und des BMWi untergehen. Hier ist eine kleine Auswahl deutscher Alternativen:

Als europäischen Anbieter kennen wir die französischen OVHcloud (ja, die mit den abgebrannten Containern, trotzdem gut). Und auch global gibt es offene und sichere Alternativen wie Wasabi oder – speziell für Entwickler, KMU und Freiberufler – Digital Ocean. Wir empfehlen als Navigationshilfe die ISG Provider Lens aus 2019.

Wer will, findet also Alternativen. Auch ohne sich selbst zu Tode verwaltende, Steuergelder verschlingende, selbstbeweihräucherte Bürokratiemonster zum Selbstzweck.

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